MFF Germany

Klimakolumne #27 Museum trifft Aktivismus

Foto: Sophie Müller
Dieser Text soll zum einen Begriffe wie ‘Curatorial Activism’ und ‘Museum Activism’ bekannt machen oder sie in Erinnerung rufen, falls sie schon bekannt sind. Zum anderen soll er zeigen, dass es im Museum viel mehr Aktivismus gibt, als vielleicht gedacht.
Museumsarbeit ist politisch. Das betonen auch die ICOM Landesverbände Deutschland, Österreich und Schweiz, wenn sie ihr Internationales Bodensee-Symposium unter die Frage stellen: “Wie politisch ist Museumsarbeit?”. Dieses Bewusstsein ist die Grundvoraussetzung, um im Museum aktivistisch tätig zu sein.

Es ist ein verbindendes Element der theoretischen Texte, die sich mit Aktivismus im und am Museum auseinandersetzen: Das Museum ist kein neutraler Ort und sollte nicht als solcher verstanden und bespielt werden. Die meisten Texte lassen sich fast als Aufruf lesen, sich dessen bewusst zu werden und entsprechend zu handeln . Grund dafür ist, dass das Museum als Institution, als Idee, mit seinen Sammlungen und Objekten von einer weißen, männlichen Hegemonie durchdrungen ist. Sichtbar wird das zum Beispiel dadurch, dass immer noch deutlich mehr weiße Künstler gesammelt und ausgestellt werden. Die Aktion der Guerrilla Girls von 1989 Do Women Have To Be Naked To Get Into The Met. Museum? wird den meisten Leser*innen wahrscheinlich bekannt sein. Die Machtungleichheit drückt sich in deutlichen Zahlen aus. Nur 5% der Künstler*innen in der Sektion Moderne waren Frauen, dafür waren 85% der nackt dargestellten Modelle weiblich (2012 sah es nicht viel anders aus: Hier lag bei der gleichen Fragestellung die Verteilung bei 4% bzw. bei 76%). Und schauen Sie sich in Ihrem eigenen Team um. Wie viele Frauen, BIPoC, queere oder behinderte Menschen sind angestellt? In welcher Position? Auch wenn die Mehrheit der Museumsmitarbeitenden und museumsrelevante Studiengänge zum größten Teil von Frauen gewählt werden, ist es für diese schwer in, in tatsächliche Machtpositionen zu gelangen.

Gleichzeitig wissen wir, dass Museen als Institutionen dazu beitragen, Vorstellungen, Werte und Normen zu festigen und Handlungen, die diesen Werten entsprechen, zu rechtfertigen.

Das mag wenig erbaulich klingen, aber das Schöne ist ja: Nur weil es ‘immer’ so war, muss es nicht immer so bleiben. Aktivismus ist eine Art und Weise, wie diese Veränderung angestoßen und erreicht werden kann. Ich möchte Aktivismus hier im Sinne einer Losung von Museums For Future vorstellen: Was Aktivismus ist, bestimmen auch die, die aktiv sind.

Wie dieser beispielsweise im Museum aussehen kann, verdeutlicht die Kuratorin und Autorin Maura Reilly. Sie hat mit ihrer Publikation Curatorial Activism. Towards an Ethic of Curating aus dem Jahr 2018 den Begriff und das Konzept des Curatorial Activism bekannt gemacht. So beginnt ihren Text, indem sie auf die Prägung des Museums und des kunstgeschichtlichen Kanons durch weiße Europäer*innen und Nordamerikaner*innen aufmerksam macht. Für Reilly ist ein Verhalten, das sich gegen diese Hegemonie stellt, aktivistisch. Sie bezeichnet dieses Verhalten als Gegen-Hegemonial. Curatorial Activists sind für sie „[…] people who have dedicated their curatorial endeavours almost exclusively to visual culture in, of, and from the margins […]“. Zu den marginalisierten Gruppen zählt sie Nicht-Weiße, Nicht-Europäer*innen und/oder Nordamerikaner*innen, Frauen, Feministinnen und queere Menschen – eine sehr große Mehrheit der Weltbevölkerung. Sich Gegen-Hegemonial zu verhalten und zu arbeiten, bedeutet für Reilly, sich die Frage zu stellen, wie die Kunstwelt inklusiver gestaltet werden kann. Als Antworten darauf nennt sie: Hierarchien abbauen, Minderheiten Sichtbarkeit verschaffen und neues bzw. verschüttetes Wissen verbreiten.

Reillys Methoden schlagen eine Hinterfragung und Korrektur des Kanons vor, indem bisher ignorierte oder vergessene Positionen hinzugefügt werden. Oder aber, dass Themen wie Geschlecht, race und Sexualität mehr in Ausstellungen verhandelt werden. Eine Erweiterung dieser Aufzählung um die Themengebiete Klimakrise und Klimagerechtigkeit als weltumfassend, menschheitsgefährdende Krise wäre sicherlich sinnvoll.

Als dritten Punkt schlägt Reilly vor, die Präsentation der Kunstgeschichte als dialogisch, ahistorisch und thematisch, transnational und multivokal zu präsentieren. So können Abhängigkeiten, die es überall und auch im Kunstschaffen gibt, deutlicher werden. Gegen Ende ihres Textes fordert Reilly Kurator*innen dazu auf, ihre Macht für positive Veränderung einzusetzen, zu forschen und Neues kennenlernen zu wollen. Es gehe darum, Anderen zuzuhören, aber auch sich selbst, um die eigenen Handlungen und Vorurteile zu befragen. Auf der Rückseite des Buchdeckels findet sich ein Manifest für Veränderung in der Kunstwelt. “RESIST masculinism and sexism / CONFRONT white privilege and Western-centrism / CHALLENGE heterocentrism and lesbo-homophobia.“ Reillys Ansatz nutzt die Wirkmacht und die Reichweite des Museums und seines wichtigsten Mediums, die Ausstellung, als eine Art Ausrufezeichen. Es markiert Leerstellen, zeigt Baustellen auf und macht auf Themen, Personengruppen und Zustände aufmerksam, die bisher wenig Beachtung finden. Damit verändert sie gegebene Strukturen, sodass sie nicht mehr zur Aufrechterhaltung der Hegemonie beitragen, sondern eine andere, gerechtere Weltsicht formen und weitertragen.

Dieser Ansatz geht stark vom Ausstellungsraum aus. Aber das Museum besteht nicht nur aus seinen Ausstellungsräumen. Es besteht aus Foyer, Fassade, aus Mitarbeitendenräumen, aus Plakaten im Außenraum, aus seinen Social-Media-Kanälen und Newslettern. Auch das sind Flächen, auf denen Museumsmitarbeiter*innen bestimmen können, welchen Themen, Werten, Normen und Vorstellungen sie Raum und damit Aufmerksamkeit geben. Das Europäische Hansemuseum beispielsweise hat ein Banner drucken lassen, mit dem sie eine Woche vor den Klimastreiks auf eben diese Streiks aufmerksam machten. Damit haben sie nicht nur die lokale Fridays For Future Gruppe entlastet, sondern sie nutzen auch ihre Präsenz im Stadtraum aktiv und wirkmächtig.

Ebenso Teil des Museums ist sein Programm. Regelmäßige Formate, die auf ein Ausstellungsthema Bezug nehmen und es so von einer zusätzlichen Perspektive beleuchten können, sind wichtig. Besonders Workshops oder partizipative Angebote ermöglichen es, Wissen langfristig zu festigen. Auch wenn Ausstellungen Lernumgebungen sein können und Informationen indirekt aufgenommen werden, so hat die Forschung gezeigt, dass Informationen und Gelerntes besser verankert und langfristig verfügbar sind, wenn sie aktiv angewandt werden können, es sich um Lernen aus erster Hand handelt und viel Eigeninitiative dazukommt.

Veranstaltungen und Programme, die eine Ausstellung flankieren und einbetten, sind also ebenfalls enorm wichtig für einen aktivistischen Ansatz.

Die Museologen Robert Janes und Richard Sandall blicken mit der Publikation Museum Activism (2019) über die Institution hinaus. Die Beiträge in diesem Band sind geprägt von der Erkenntnis, dass ein relevantes Museum, was sich als politischer Ort versteht und seine Rolle in der Gesellschaft annimmt und ausfüllen möchte, auf Kooperationen angewiesen ist und diese auch aktiv suchen sollte. Wir bei MFF fassen es so zusammen: “Museen müssen Relevantes tun, um relevant zu bleiben”. Das Museum muss nicht für alle Herausforderungen Lösungen oder Ansätze finden. Wichtiger ist, dass die Institution sein Umfeld und seine Communities als essentiell anerkennt, wenn es darum geht, für Themen sensibilisiert zu werden. Es geht darum, offen für (Ein-)Wirkungen von außen zu sein und auf die Bedürfnisse seiner Umgebung zu reagieren. Museumstheoretikerin und Autorin Bernadette Lynch formuliert es in ihrem Beitrag sehr klar: „[…] the only way activism can be meaningful, and therefore effective in museums, is through a commitment to ongoing collaborative and reflective practice. In this way, individuals develop their capabilities while becoming activated.“ Lynch unterscheidet zwischen Museen, mit einem aktivistischen Image, die sich durch thematische Setzungen positionieren, und Museen, die ihre Besuchenden darin unterstützen, eigenen Aktivismus zu entwickeln. Das Ziel sei es, durch Kollaborationen ins Handeln zu kommen.

Kollaborationen bieten für Museen den Vorteil, auf konkrete Fragestellungen vor Ort eingehen zu können. Aktivistische Gruppen vor Ort wissen, wo's brennt, und Museen müssen sich durch Austausch mit diesen Gruppen die Expertise für ein bestimmtes Problemfeld nicht erst mühsam selbst erarbeiten. Das ist effizienter und macht meist auch mehr Spaß. Gleichzeitig werden Museen so zu aktiven Orten, die als relevant für ihre Umgebung wahrgenommen werden. Und noch besser, wenn sie mit ihrem Handeln zu relevanten Orten werden.

Kurz vor Schluss noch zwei Ansätze aus der Klimabewegung, um sein Potential, aktiv zu werden, herauszufinden. Sich seiner Wirkungsmacht außerhalb der eigenen vier Institutionswände bewusst zu werden, ist das Prinzip des Handabdrucks. Er bezieht sich zwar nicht nur auf das Museum, kann hier aber fruchtbar gemacht werden. Das Prinzip des Handabdrucks fokussiert sich nicht auf den persönlichen Verzicht wie der CO2-Fußabdruck. Vielmehr sucht das Prinzip des Handabdrucks nach individuellen Hebeln, mit denen Strukturen verändert werden können. Da, wo das Narrativ des Verzichts beim Individuum an realen und emotionalen Grenzen stößt, setzt der Handabdruck auf Kooperation und Zuversicht. Jede*r Einzelne von uns kann nur bedingt viel CO2 in seinem/ihrem Alltag einsparen. Setzen wir uns aber dafür ein, dass in der Stadt, in der wir leben, die Radwege ausgebaut werden, helfen wir anderen Menschen dabei, ihren CO2 Verbrauch zu verringern. Und das, ohne, dass der Verzicht im Vordergrund steht. Es hat Auswirkungen, wenn es beim Museumssommerfest vegane Würstchen im Brötchen gibt oder wenn in Vergabeverfahren Regionalität ein fester Bestandteil ist. Wie genau sich der persönliche oder institutionelle Klimahebel finden lässt, dafür haben Alessa Fetzer, Julia Diehl und Sara Schurmann eine Methode entwickelt, mit der Menschen, von ihrem Herzensthema ausgehend, ihren Klimahebel finden können. Das funktioniert nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei einer Institution wie einem Museum.

Beide Ansätze, innerhalb des Kunst- und Kulturfeldes Veränderungen zu bewirken, und der Ansatz, sich über die Grenzen dieses Feldes hinaus mit Partner*innen zu verbinden, sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind beide wichtig, weil sie sich ergänzen und in vielen konkreten Beispielen nicht trennscharf voneinander unterschieden werden können. Vielmehr sollte die Vielzahl der Möglichkeiten deutlich werden. Am Ende ist es wichtig, dass jedes Haus den für sich richtigen Ton und den Umfang findet, den es zunächst auch tatsächlich meistern kann. Das Prinzip des Handabdrucks und die Methode des Klimahebels zeigen, dass es nicht schwierig sein muss, sein Potential inner- und außerhalb der Institution herauszufinden und Veränderungen auch außerhalb des klassischen musealen Arbeitens zu haben.

Entscheidend ist: Das Museum ist kein neutraler Ort – es soll ein relevanter Ort sein. In Anbetracht heutiger Probleme und Sorgen brauchen wir Museen, die genau dafür Raum schaffen. Wir brauchen Museen, die präsent sind. Wir brauchen Museen, die aktiv zur Debatte und zu Lösungen beitragen.
Johanna Gebhardt

Dieser Text basiert auf einem Vortrag, der im Zuge des Workshops “Museum trifft Aktivismus. Gemeinsam was bewegen” gehalten wurde. Der Workshop wurde von Museums For Future Germany und ICOM Deutschland Young Professionals auf dem 18. Internationalen Bodenseesymposium im Mai 2024 abgehalten.

Quellen:

  • Baunach, Gabriel: Hoch die Hände, Klimawende! Warum wir mit der Holzzahnbürste nicht die Erderwärmung stoppen – und wo unsere wirklichen Hebel sind, 2023
  • Janes, Robert/ Sandall, Richard: Museum Activism, 2019.
  • Lynch, Bernadette: ‘I’m gonna do something.’ Moving beyond talk in the Museum, in: Museum Activism, 2019.
  • Reilly, Maura: Curatorial Activism. Towards an Ethic of Curating, 2018.
https://www.guerrillagirls.com/naked-through-the-ages

Auf der Website von Climate Connections sind Arbeitsblätter und Arbeitsbuch frei zum Download verfügbar. https://climateconnections.de/
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