MFF Germany

#22 Übers Meckern, Meinungen, den Mut zum Machen und marokkanische Ziegen

Credits: Unsplash, mana5280, 2019

In dieser Klimakolumne reflektieren wir über den Weltmeistertitel der Deutschen im Meckern, schauen wie Kritik und Solidarität sich nicht ausschließen müssen, warum es gerade jetzt nicht an Meinungen, sondern an Mut fehlt und überlegen, wie wir mehr Mut zum Machen entwickeln können.
Starten wir mit offenen Karten in die Kolumne: Ich gestehe gleich, dass das Ziegenbild ein klassischer Köder war. Sie werden in dieser Klimakolumne leider nur viel zu wenig über die faszinierende Welt der marokkanischen Ziegen erfahren und dennoch schien das Bild einfach zu passend zum Thema “Meckern und Mut” zu sein. Wer von Ihnen ist in den letzten Wochen schon so hoch oben auf allen Vieren in einem Baum balanciert und hat dabei auch noch eine gute Figur gemacht? Gar nicht so einfach! Aber vielleicht gehen Sie ja heute gemeinsam mit uns auf eine Reise: nicht nach Marokko, sondern eher auf eine Reise, auf der wir herausfinden, wie wir endlich aus dem Mecker- in den Machermodus kommen! Ja, genau – auch wir Museumsmacher*innen.

Sie haben es sicher auch schon gehört: anscheinend sind Deutsche Weltmeister*innen im Meckern. Psychologin Annika Lohstroh und Psychologe Michael Thiel haben 2011 dazu sogar das Buch “Deutschland, einig Jammerland” veröffentlicht. Jede*r kennt sie: die schnippischen Kommentare meckernder Personen im Alltag.

“Die Nachbarin entscheidet sich seltsamerweise immer am Samstagmorgen um 7 Uhr den Rasenmäher anzuschmeißen - wie nervig. Der Garten der Ökofamilie von nebenan wuchert mit Wildblumen zu –- Och nö, das sieht echt unordentlich aus. Keine Parkplätze –- so ne Sauerei. Zu lange kalt und nass - Wo ist denn die Klimaerwärmung, von der alle immer reden? Endlich Sommer, aber jetzt ist es hier viel zu heiß. Und wer hat hier überhaupt alle Flächen asphaltiert? Achso, für die Parkplätze war das ja. Stimmt. Naja, apropos zu heiß oder zu kalt: Das Heizungsgesetz ist ja mal richtig unbequem –- Klar bin ich voll für Klimaschutz, aber doch nicht so. Und apropos Klimaschutz: Auf die Straße kleben, das finde ich mal richtig unnötig. Oder erst die Aktionen im Museum. Ich gehe ja nur jedes Schaltjahr mal ins Museum, aber das geht mir jetzt echt zu weit, egal ob Kleber auf der Glasscheibe oder am Rahmen…”

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber selbst beim Schreiben über’s Meckern steigt bei mir der Blutdruck. Also versuchen wir, diesen doch mal wieder runterzubringen, und was wäre da besser geeignet als eine gute alte Dudendefinition. Da wären wir auch schon wieder bei den Ziegen. Dort fängt der Duden nämlich an bei seiner Definition vom Meckern, aber spätestens ab der dritten Wortbedeutung wird es spannend: “an einer Sache etwas auszusetzen haben und ärgerlich seiner Unzufriedenheit Ausdruck geben” [1].

Und genau das haben wir alle seit Monaten beobachten können, wenn es – und wir schreiben ja gewöhnlich über Museen und Klimaschutz – um die Aktionen der Letzten Generation in Museen ging. Bürger*innen, Medien, Politiker*innen und auch Museumsmitarbeiter*innen, es gibt nahezu niemanden, der nicht eine Meinung und oft auch Kritik dazu hat (und hatte) und dies auch zu irgendeinem Zeitpunkt mehr oder minder lautstark geäußert hat. Das ist auch ok – und auch wir von Museums For Future haben Kritik an dem Aktionsformat in Museen geäußert. Was wir aber auch getan haben, war nicht über die Letzte Generation zu sprechen, sondern mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir haben den Aktivist*innen zugehört und versucht zu verstehen, was ihr Anliegen ist. Wir haben ihnen die Perspektive von Museumsmitarbeiter*innen aufgezeigt, sind in den Dialog getreten, um gemeinsam auf die Suche nach Formaten zu gehen, die einer weiteren Polarisierung entgegenwirken könnten. Wir haben gemeckert, um etwas anders zu machen. Denn ganz ehrlich, die Zeit drängt, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht. Da sollten wir uns ganz genau überlegen, auf welchen Nebenschauplätzen wir unsere Zeit und Energie mit welchen Diskussionen verbringen!

Und wir haben realisiert: Kritik an den Formaten muss doch der Solidarität bei den wichtigen gemeinsamen Zielen nach wirksamen Klimaschutzmaßnahmen und der Einhaltung internationaler Abkommen nicht im Wege stehen. Museen und Klimabewegte sind keine Feind*innen und deshalb haben Kolleg*innen der ICOM Deutschland Young Professionals und wir versucht, deutsche Museen und Aktivist*innen der Letzten Generation im Rahmen des Internationalen Museumstags am 21. Mai 2023 in den konstruktiven Austausch zu bringen. Acht mutige Museen haben sich darauf eingelassen: die Hamburger Kunsthalle, das Europäische Hansemuseum Lübeck, das Museum Ludwig Köln, das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, das Deutsche Hygienemuseum Dresden, das Museum für Kommunikation Nürnberg, die Kunsthalle Rostock und das Zeppelin Museum Friedrichshafen. In Zusammenarbeit mit Museumsmitarbeiter*innen, lokalen Aktivist*innen sowie weiteren ortsverbundenen Akteur*innen und Persönlichkeiten wurden verschiedene Möglichkeiten geschaffen, miteinander in den Austausch zu treten. Mit einer Dauerlesung des IPCC-Berichts konnten die Mitglieder der LG bei den Zuhörenden Emotionen wecken. Beim gemeinsamen Gespräch in der Ausstellung konnten Besucher*innen ihre Fragen an die Aktivit*innen loswerden und Mitglieder der Organisation gaben Einblick, wie denn so eine Gruppe wie die Letzte Generation überhaupt aufgestellt ist und sich organisiert. Die verschiedenen Aktionsformate waren Teil einer Performance, die von Aktivist*innen der Letzten Generation unter konzeptioneller Begleitung der Performance-Künstlerin Katharina Haverich entstanden sind. Für alle, die noch mehr dazu erfahren möchten, gibt es einen guten Überblick auf musermeku [2] und zwei mitreißende Beiträge von den Museumsdirektorinnen Claudia Emmert (Friedrichshafen) im SWR [3] und Annabelle Hornung (Nürnberg) im DLF [4]. Hier eine Aufnahme, die während der Aktion in der Hamburger Kunsthalle entstanden ist:
Alle Museen, die mitgemacht haben, sind sich einig: Klimaschutz ist auch Museumssache! Sie wissen: Die Klimabewegung ist vielseitig. Sie wissen auch: Museen können ihren Beitrag leisten, um zu zeigen, dass das, was die breite Klimabewegung fordert nicht radikal ist, sondern die Anerkennung wissenschaftlicher Fakten über ökologische Krisen und die Forderung nach effektiven Maßnahmen, ein sicheres Leben für alle, stabile Lebensbedingungen und eine lebenswerte Zukunft ist.

Und wissen Sie was? Meckern ist gar nicht so schlecht wie sein Ruf. Meckern kann auch ganz schön konstruktiv sein. Wir meckern über Formate. Gut so, dann mach es besser! Wir meckern über unbequeme Maßnahmen, dann her mit besseren! Auch Wissenschaftler*innen und die Klimabewegung meckern, dass politisch zu wenig für wirksamen Klimaschutz getan wird und zeigen, wie aus “einfacher” Kritik Handlung wird. Aus dem Meckern Einzelner wird, wenn man sich organisiert und gezielt versucht, Veränderung zu bewirken, eine Bewegung. Und diese Bewegung führt zu Handlung und dem Mut, sich anzuschließen und auch ins Machen zu kommen.

Warum dürfen wir nicht mit dem Meckern aufhören? Klimawissenschaftler*innen und Expert*innen zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen sind sich einig: Die Bewältigung der Klimakrise ist die dringendste und wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Uns bleiben lediglich noch ein bis zwei Jahre, in denen wir schnelle und wirksame Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und strukturelle Weichen zur Emissionsreduktion stellen können. Damit wird verhindert, dass eine Kaskade an irreversiblen Klimakipppunkten ausgelöst wird, die laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) unsere Ökosysteme in unbekannter Drastik destabilisieren und damit das Leben derzeitiger und künftiger Generationen gefährdet. Im letzten IPCC-Bericht vom März 2023 heißt es: “Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken”. [5] So sieht Meckern auf höchstem wissenschaftlichen Niveau aus. Unsere ganz dringende Einladung an alle Museumsmitarbeiter*innen: Nehmen Sie sich am besten noch heute 15 Minuten, um diesen sechsseitigen Synthesebericht der anerkanntesten Klimawissenschaftler*innen der Welt zu lesen, dann wissen Sie aus bester Quelle, warum wir allen Grund zum Meckern und zum Machen haben. Sie sind nur einen Klick entfernt…

Das sind keine rosigen Aussichten. Was wird dagegen denn gemacht? Für die Bewahrung von Stabilität, Frieden und Wohlergehen braucht es jetzt strukturelle, wirksame und sozial gerechte Maßnahmen, die Menschen und Klima schützen. Seit Jahrzehnten setzen sich unterschiedliche Akteur:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik sowie Wirtschaft auf mehreren Ebenen mit unterschiedlichen Formaten für dieses Ziel ein. Es gibt zahlreiche Erfolge zu feiern. Aber wir sehen leider auch, dass sich das Wissen um die Klimakatastrophe mit ihren dramatischen Folgen noch nicht annähernd ausreichend in konkreten Handlungen, politischen Maßnahmen und nationaler Strategie abbildet. [6] Jetzt gilt es, strukturelle Maßnahmen zur schnellen Emissionssenkung umzusetzen, um Energie- und Wärmewende, Mobilitätswende, Agrarwende und damit auch soziale Gerechtigkeit gesamtgesellschaftlich umzusetzen!

Aber was kann ich als Museumsmitarbeiter*in denn tun? Jetzt geht es darum, an allen Stellen und mit all unseren verschiedenen Fähigkeiten und Plattformen eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen zu unterstützen. Auch Museen können als wissenschaftlich arbeitende Bildungseinrichtungen ihren Einfluss und ihre Reichweite nutzen, um zur Bewältigung dieser Gesellschaftsaufgabe beizutragen. Als Einrichtungen, die die Aufgabe des Erhalts von Kulturgütern für kommende Generationen haben, haben Museen ein enormes Interesse an einer zügigen Umsetzung wissenschaftlich geforderter Klimaschutzmaßnahmen: Ohne Klimaschutz ist langfristig kein Kulturgüterschutz möglich!

Zum Beispiel können Sie als als Direktor*in Klimaaktivist*innen und andere lokalen Akteure in Ihr Museum einladen, Ihnen zuhören und mit Ihnen kreative Formate entwickeln, um noch mehr Menschen zu erreichen. Als Museumspädagog*in könnten Sie in Ihren Programmen die Verbundenheit zur Natur stärken und Initiativen unterstützen, die lokal zum Klimaschutz beitragen. Als Techniker*in könnten Sie aktiv zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in Ihrem Museum beitragen. Als Mitarbeiter*in in der Öffentlichkeitsarbeit könnten Sie nicht nur Erfolgsgeschichten erzählen, sondern Besucher*innen bei jeder Maßnahme aufzeigen, wie auch Nachhaltigkeit in Ihrem Haus mitgedacht wurde. Oder Sie schließen sich im Museum in einer Arbeitsgruppe zusammen, versuchen sich an einer mitreißenden Aktion am nächsten Weltklimastreiktag am 15.9. oder treten als Institution oder Individuum Museums For Future bei. So könnten wir noch lange weitermachen.

Egal, wofür Sie sich entscheiden, haben Sie Mut, unbekanntes Territorium zu erklimmen. Der Balanceakt ist manchmal nicht so einfach, aber wir alle müssen vom Meckern ins Machen kommen. Lassen wir uns die meckernden Ziegen in den Baumwipfeln Marokkos ein kleines Vorbild sein, dass Herausforderungen nicht dazu da sind, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern uns heraus- und “herauf”-fordern sollten. Die Belohnung einer intakten und lebenswerten Welt ist es wert.

Anna Krez

Klimakolumne