MFF Germany

#4 Museen & Klimapolitik

In den letzten Wochen haben wir uns mit Themen beschäftigt, die vermutlich von vielen Menschen nicht direkt mit Museen verknüpft werden: Mobilität, Energie, Finanzen und Klimaaktivismus. Gerade bei Letzterem sieht man von etlichen musealen Institutionen in Deutschland trotz mehrheitlichem Wunsch nach “mehr Nachhaltigkeit” noch eine gewisse Zurückhaltung, auch weil das Thema Klimakrise als politisch eingeordnet wird. In dieser Kolumne wollen wir ergründen warum die Klimakrise überhaupt nichts mit Politik zu tun hat und gleichzeitig alles mit Politik zu tun hat und aufzeigen, was es einigen Museen leichter machen könnte, sich in diesem „Spannungsfeld“ zu positionieren.
Klären wir doch zunächst ein paar grundlegende Begriffe und Zusammenhänge. Klimaaktivismus bezeichnet u. a. eine Reaktion auf die Klimakrise. Klimaaktivist:innen, hier in Deutschland zum Beispiel Fridays For Future, fordern, dass umgehend wirksame Maßnahmen umgesetzt werden, um die Folgen der Klimakrise abzumildern. Diese Krise natürlicher Ökosysteme wurde und wird durch den intensiven Ausstoß von Treibhausgasen durch den „wirtschaftenden“ Menschen ausgelöst und beschleunigt. Die Politik gestaltet diese wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. In der Konsequenz scheint es also nur logisch und effektiv, dass klimaaktivistische Initiativen die Anpassung und Regulierung genau dieser gesellschaftlichen Strukturen durch die Politik fordern. Kurz zusammengefasst: Die Klimakrise an sich ist nicht politisch, sie muss aber mit politischen Mitteln gelöst werden. Klimaaktivismus bedient sich also eines geeigneten Werkzeugs, sprich der Forderungen nach Maßnahmen durch die Politik, um ein überlebensnotwendiges Ziel, nämlich die Abwendung der Klimakrise, zu erreichen. Würde man so etwas nicht einfach als strategisch[1], als zielgerichtet, als effektiv bezeichnen? Oder andersherum gefragt: Was ist die Alternative zu dieser strategischen Herangehensweise? Abwarten? Tee trinken? Noch ein bisschen weiter diskutieren? Noch ein weiteres Pilotprojekt zu XY abwarten? Lieber „neutral“ bleiben? Alles wohl plausible Möglichkeiten, wenn man den Luxus eines großen Zeitbudgets auf seiner Seite hätte. Das Wort Krise schließt das leider schon per se aus. 
Ohne in große Debatten um die vermeintliche „Neutralität“ von Museen in anderen Kontexten einzusteigen, ist es für Museen beim Thema Klimakrise aus mehreren Gründen überhaupt nicht möglich sich „neutral“ zu positionieren. Sie sind keine objektiven Beobachter, sie sind Opfer, sie sind Mitverursacher, sie sind Teil der Lösung. 
In der Restaurierung, einer der vielen museumswissenschaftlichen Fachdisziplinen, lernt man unter Anderem Folgendes: Nichts-Tun ist eine Entscheidung. Nichts-Tun wird Konsequenzen haben. Auch für’s Nichts-Tun muss ich mich rechtfertigen – das gilt selbstverständlich auch für das Nicht-Ausreichend-Genug-Tun. In der Klimakrise ist es genauso: Nichts-Tun heißt, das bisherige System weiter zu unterstützen. Sich nicht zu positionieren heißt, dass es reale Konsequenzen für Mensch, Natur und Kultur haben wird. Nicht alles Mögliche in unserem Einflussbereich zu tun, heißt, sich dafür rechtfertigen zu müssen, was wir warum nicht getan haben. Eine neutrale Zone gibt es hier nicht. Hier kommen wir an den entscheidenden Punkt: Was sehen Museen denn wirklich als Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft? Warum stellen wir aus, wenn wir annehmen, dass wir Gesellschaft dadurch nicht beeinflussen können? Warum dokumentieren wir, wenn wir daraus keine Lehren ziehen? Wie wollen wir Kunst- und Kulturgut wirklich bewahren, wenn wir uns nicht auch der Klimakrise strategisch, zielgerichtet und effektiv entgegenstellen?
An diesen Fragen führt für Museen heutzutage kein Weg vorbei. Und die Antwort kann nicht eine vermeintlich „unpolitische“ Position sein. Die Antworten auf diese Fragen müssen mutig und zielgerichtet sein. Realistisch betrachtet wird es nicht ausreichen, in einer einigermaßen klimaneutralen Institution zu arbeiten, wenn sich außerhalb strukturell noch nicht genug geändert hat. Das heißt nicht, dass Museen nicht alles dafür tun sollten um so schnell wie möglich ihre eigenen Emissionen auf Null zu senken, sondern vor allem, dass das alleine nicht ausreichen wird. Echter, sofortiger und ausreichender Klimaschutz heißt für Museen als Konsequenz übersetzt: Kulturgutschutz. Und wenn sich jemand an dem Begriff “Klimaaktivismus” stört, dann lautet er für Museen eben „Kulturgutaktivismus“. 
Begrifflichkeiten sind flexibel, fest steht aber, dass wir jetzt effektiv ins Handeln kommen müssen. George Marshall schreibt in seinem Beitrag „Coackroach Tours – How Museums Struggle to Tell the Climate Story” über eine ohnehin problematische Ausstellung im Science Museum London, die in „neutralem Ton“ gehalten wurde: „But, I wonder, is it the tone of voice that we would expect for a crisis that threatens our survival? Nothing in the gallery suggests that this is a disaster, a historical turning point, an opportunity or, indeed, that anyone cares much at all.”[3] Wenn Ihr Depot überflutet werden würde, würden Sie handeln als wäre es eine Krise? Würden Sie eine Führung für Besucher:innen organisieren? Würden Sie neutral mit den Achseln zucken? Würden Sie mit Tassen oder Eimern Wasser schöpfen? Oder würden Sie alles Mögliche in Ihrer Macht stehende tun um noch Schlimmeres abzuwenden? Und würde Sie jemand im Vorfeld vor dieser konkreten Katastrophe warnen, würden Sie nicht alles Mögliche tun, um dieses Ereignis zu verhindern?
Abschließen möchten wir mit einem eindringlichen Zitat aus der Publikation Subjektives Museum – Partizipative Museumsarbeit zwischen Selbstvergewisserung und gesellschaftspolitischem Engagement: „Museen sind keine neutralen oder objektiven Orte. Museen sind von subjektiven Entscheidungen geprägt, sie sind politisch und waren es immer, auch wenn der eingenommene Standpunkt selten offengelegt wurde oder wird.“[4] Für uns und die Klimakrise heißt das: Dieses Jahrzehnt entscheiden die nächste Bundesregierung aber auch wir alle als Individuen über die Zukunft unserer Museen, über das Kulturgut in unserer Obhut und über die Gemeinschaft, der wir damit verpflichtet sind. Welche Entscheidung oder Nicht-Entscheidung treffen Sie? Welchen Standpunkt nehmen Sie bei der Klimakrise ein?

[1] Übrigens laut Duden auch ein Synonym für politisch https://www.duden.de/rechtschreibung/politisch
[2]https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021_hgp_umweltbewusstseinsstudie_bf.pdf und https://www.moreincommon.de/media/13ip5esl/more_in_common_studie_klima_zusammenhalt.pdf
[3] George Marshall „Don’t even think about it – Why our brains are wired to ignore climate change”, 2014, S. 103.
[4] Gesser, Susanne/Gorgus, Nina/Jannelli, Angela (2020). Einführung. In: Susanne Gesser/Nina Gorgus/Angela Jannelli (Eds.), Das subjektive Museum (26-26). Bielefeld: transcript Verlag.

Credits: Modified version of Rough Weather, Dutch and English Fishing Boats, 1805 by Samuel Owen, Photo by Birmingham Museums Trust on Unsplash
Klimakolumne