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#19 „Sie ahnen, dass es ans Eingemachte [...] geht.“ Das Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22

Was hat Corona mit der Klimakrise gemeinsam? Wo liegen die Probleme beim Transformationsprozess zur nachhaltigen Institution? Diese und mehr Fragen werden im neuen Jahrbuch für Kulturpolitik behandelt.

Anfang 2023 ist das 18. Jahrbuch für Kulturpolitik von der Kulturpolitischen Gesellschaft herausgekommen. Jedes Jahr gibt es einen neuen Themenschwerpunkt und das nun erschienene für die Jahre 2021/2022 trägt den Untertitel „Kultur der Nachhaltigkeit“. Das Ergebnis sind 47 Artikel auf mehr als 500 Seiten, die nachhaltige Kultur allgemein, Praxis, Förderungen von Nachhaltigkeit, einzelne Kultursparten, Blicke auf nachhaltige Kultur außerhalb Deutschlands sowie Kulturstatistiken abdecken. Ein breites Angebot an Inhalten, das wir uns in dieser Klimakolumne genauer ansehen.


Insgesamt wird zweierlei überaus deutlich: Erstens, es muss noch sehr viel getan werden, aber es gibt bereits einige inspirierende Beispiele. Zweitens, die Autor*innen stimmen darin überein, dass sich alle Bereiche unseres Lebens grundlegend wandeln müssen (die „Große Transformation“) und die Kultur dazugehört. Kultur sei sogar ein ausschlaggebender Faktor für eine solche Transformation. Warum? Weil sie mit alternativen Handlungswegen vertraut ist (vgl. Brosda: 128) und als Impulsgeberin und Ideengeneratorin neue Narrative, Produktionsformen, Arbeitsstrukturen neu etablieren kann (vgl. Bramkamp/ Rietschel: 288).


In den Beiträgen werden immer wieder Fonds, Stiftungen, Initiativen oder Studien mit einem Nachhaltigkeitsfokus vorgestellt. Das stimmt hoffnungsvoll: Es tut sich was. Förderungen folgen bisher einem Wachstumsparadigma (vgl. Klein: 193), doch mit den neuen Ideen könnte es irgendwann von dem konkurrierenden Nachhaltigkeitsparadigma abgelöst werden.


Vielen dürfte das Säulenmodell bekannt sein, welches das Soziale, die Ökonomie sowie Ökologie als die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfasst. Im Jahrbuch wird es ebenfalls aufgegriffen, gemeinsam mit der Frage: Wo ist die Kultur? Dabei werden Überlegungen zu neuen Modellen aufgestellt:

  • Ökologie als Basis, auf der Ökonomie, Soziales sowie Kultur stehen (vgl. Weiger: 45)
  • Ein weites Kulturverständnis als Basis, auf der die drei bekannten Säulen und zusätzlich ein enges Kulturverständnis stehen (vgl. Brocchi: 147)
Hier gibt es kein Richtig oder Falsch, aber dass Kultur explizit Teil der Nachhaltigkeit sein sollte, ist eine wichtige Erkenntnis für die Nachhaltigkeitsarbeit im eigenen Museum.

Wir alle haben gemerkt, dass sich die Corona-Pandemie stark auf die Kultur ausgewirkt hat. Einige Beiträge kommen zu Schlussfolgerungen, was uns diese Krise gezeigt hat und wo die Parallelen zur Klimakrise liegen: beides sei zwar eine Krise, Corona bedroht(e) jedoch potenziell alle und war/ist zeitlich begrenzter, die Klimakrise würde eher bestimmte Regionen betreffen und das Verhalten müsse auf Dauer geändert werden (vgl. Kaluza: 204). Laut Brand hätte Covid gezeigt, dass Menschen bereit sind, ihr Leben zu ändern, wenn dies als „lebensdienlich“ dargestellt werde (vgl. Brand: 84), Kindsmüller ist pessimistischer und sagt, dass wir nur schwer vernünftig mit Krisen umgehen könnten (vgl. Kindsmüller: 85).

Es finden sich viele Antworten darauf, weshalb der Kultursektor nachhaltiger werden sollte, obwohl er einen vergleichsweise geringen Belastungsanteil hat (vgl. Rossmeissl: 245). Hier ein paar Möglichkeiten: Künste seien ein kreativer Motor und Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen (vgl. Keuchel: 115), Kultur- und Bildungseinrichtungen würden Verantwortung tragen, da sie Multiplikatoren seien und eine öffentliche Wirkmacht hätten (vgl. Könneke 243) oder:
„Museen als Orte für Experimente, als Diskursorte, um den gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, und als Handlungsorte, um Möglichkeiten für ein nachhaltiges Verhalten aufzuzeigen – all das können Museen sein, um Nachhaltigkeit dauerhaft und zukunftsfähig für künftige Generationen zu gestalten.“ (Dowidat: 412).
Dowidat schreibt außerdem, dass Nachhaltigkeit „eine klare Haltung und Positionierung verlangt.“ (Dowidat: 410) Drei Faktoren würden hineinspielen: Rechtlich verbindliche Vorgaben, finanzielle Anreize sowie die gestiegenen Erwartungen des Publikums hinsichtlich gesellschaftsrelevanter Themen. Nachhaltigkeit werde bisher von Mitarbeitenden neben ihren eigentlichen Tätigkeiten angestoßen, der Mangel an Zeit, Budget, Personal, Widerstände im eigenen Haus würden ausbremsen. (vgl. Dowidat: 411f.)

Teil des Transformationsprozesses soll nach Meinung mancher Autor*innen sein, dass sich die Museen mehr öffnen, in die gesamte Stadt hineinwirken, mit anderen zusammenwirken. Dadurch würden sich Stereotype auflösen, Vorstellungen verändern und die Akzeptanz für nötige Verhaltensänderungen wachsen. (vgl. Kaluza: 206) Dies klingt zunächst nach einer großen Aufgabe, doch könnte ein erster Schritt sein, beispielsweise zu Klimastreiks die Häuser zu öffnen, um einen Diskussionsraum oder Platz für die Plakatgestaltung zur Verfügung zu stellen.

Andere Artikel sinnieren darüber, weshalb Nachhaltigkeit im Museum bisher nicht stattfand beziehungsweise weshalb erst jetzt konsequent darüber geredet werde. Eine Antwort:
„Sie [die Menschen] ahnen, dass es ans Eingemachte unserer Wirtschafts- und Lebensweise geht.“ (Kindsmüller: 85).
Das kann zu einem „Erstarren“ der Akteur*innen führen, vor allem, da es an Handlungs- und Erfahrungswissen sowie Geld fehlt (vgl. Charles: 179, 181). Könneke schreibt dazu:
„Wer aber an Relevanz und Kraft der Kultur glaubt […], ist sicher besser beraten, aktiv und agil die eigenen Handlungsoptionen auszuloten und selbstbewusst anzufangen. Es gilt die privilegierte Rolle der Kulturbetriebe und der Kulturpolitik zu nutzen […]“ (Könneke: 238) Sein Fazit: „Bisher sind wir Teil des Problems. Besser wäre, Teil der Lösung zu werden.“ (Könneke: 243).

Dem ist nur zuzustimmen: Wir haben keine Zeit mehr zu warten. Fangen wir an.

AvdB
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Alle Zitate aus: Kröger, Franz/ Mohr, Henning/ Sievers, Norbert/ Weiß, Ralf (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22. Thema: Kultur der Nachhaltigkeit. Fachbeiträge/Kulturstatistik/Literatur. Bielefeld 2022.

Darin enthaltene Beiträge:

  • Bramkamp, Nicola/ Rietschel, Anne: Klima wandelt Kunst. Wie wir Betriebsökologie und Ästhetik zusammendenken können. S. 283-289.
  • Brand, Ulrich: Solidarisch produzieren und leben. Kultur kann imperiale Denkmuster aufbrechen. S. 77-84)
  • Brocchi, Davide: Transformative Kulturpolitik ist emanzipierte Kulturpolitik. S. 143-151.
  • Brosda, Carsten: Nachhaltige Kulturpolitik als Politik der Vielen. S. 125-131.
  • Charles, Stefan: Culture Climate Circle. Eine Koalition der Entschlossenen. S. 179-190.
  • Dowidat , Stefanie: Vom Klimakiller bis zum Vorreiter – über Nachhaltigkeit in Museen. Ein Überblick. S. 407- 414.
  • Kaluza, Hildegard: Nachhaltige Landeskulturpolitik – Perspektiven und Ansätze aus NRW. S. 203-210.
  • Kindsmüller, Werner: Warum sollen wir unser Leben ändern? S. 85-93.
  • Keuchel, Susanne: Vision einer nachhaltigen Kulturpolitik – zur Beziehung von Kulturpolitik und gesellschaftlichem Wandel. S. 115-123.
  • Könneke, Achim: KlimaKulturPolitik selbst machen. S. 233-244.
  • Rossmeissl, Dieter: Nachhaltigkeit durch Kulturelle Bildung. S. 245- 249.
Bei Anmerkungen oder zum Austausch, wenden Sie sich gerne an germany@museumsforfuture.org
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