MFF Germany

#20 Warum Museen erst jetzt nachhaltig handeln

Immer wieder wird über den Klimawandel und dessen Folgen gesprochen, obwohl die Veränderung des Klimas seit langem bekannt ist. Wieso wird Nachhaltigkeit also erst jetzt Thema in den Museen?

Tagungen, Arbeitsgruppen, Projekte, Förderungen, Initiativen, Ausstellungen, neue Berufe: Nachhaltigkeit im Museum ist en vogue. Ein kurzer Trend, der bald wieder vergessen sein wird?

1979 fand die erste Weltklimakonferenz statt. Schon damals war bekannt, dass sich die Menschheit auf eine Klimakrise hinbewegt. Warum erklingt also erst seit wenigen Jahren der Ruf für mehr Nachhaltigkeit in der Gesellschaft? Einzelne Projekte gab es immer wieder, doch eine kontinuierliche Auseinandersetzung damit, wie speziell Museen zur Klimakrise beitragen, gibt es erst seit kurzem (vgl. Föhl 2022: 171f.).
Die Transformation zur Nachhaltigkeit benötigt einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel (vgl. Könneke 2022: 239) in allen Sparten. Hubert Weiger, der Ehrenvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz e.V. (BUND), schreibt, dass diese große Veränderung von der Wirtschaft und den meisten Staaten mit fadenscheinigen Argumenten, wie dem Verlust von Arbeitsplätzen, behindert wird. Dieses Argument könne jedoch entkräftet werden: Photovoltaik und Windkraft würden zehnmal mehr Arbeitsplätze als die Atomkraft schaffen (vgl. Weiger 2022: 46). Ein Bewusstseinswandel geschieht in der Regel nicht über Nacht, sondern ist ein Prozess, der angestoßen und immer wieder überdacht werden muss. Weniger „schneller, höher, billiger“, weniger Waren und Verkehr (vgl. Weiger 2022: 47) – das mag für viele unattraktiv klingen, Wohlstand und Lebensstil sind scheinbar nicht verhandelbar (vgl. Blühdorn 2022: 59). Doch gerade diese müssen sich wandeln. Wie? Hier kommt die Kultur ins Spiel, die mit ihrer Kreativität neue Lösungen ausdenken und ausprobieren kann (vgl. Dowidat 2022: 412).
Falls Sie mehr Gründe für den langsamen Wandel zur Nachhaltigkeit erfahren wollen, können wir die untenstehenden Artikel von Weiger und Blühdorn empfehlen.
Doch auch wenn die Kultur zur Lösung beitragen kann (und muss): Auch sie trägt die „imperiale Lebensweise“, wie der Autor Ulrich Brand es nennt, in sich (vgl. Brand 2022: 79). Dies zu erkennen und zu ändern, ist viel Arbeit. Einen großen Denkanstoß gibt die Fridays for Future-Bewegung, durch welche die Relevanz von einem nachhaltigeren Leben präsent wurde. Daher: Es ist gut, dass sich Museen mehr mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen wollen. Oftmals ist es bisher noch so, dass Mitarbeitende diese neben ihren eigentlichen Tätigkeiten angehen (vgl. Dowidat 2022: 411). Nachhaltigkeits- oder Transformationsmanager*innen – in der Wirtschaft schon lange gängig – gibt es bisher kaum. Weiterbildungen kosten Geld. Geld, das im Kulturbetrieb ohnehin knapp ist. Zudem muss sich der Träger des Museums die Zusammenarbeit mit den Nachhaltigkeits- oder Transformationsmanager*innen erst einmal leisten können, schließlich kann die Erstellung eines Nachhaltigkeitskonzepts 10.000 bis 20.000 € oder mehr kosten. Also haben viele Museen kaum eine andere Wahl, als auf die Unterstützung ihrer Mitarbeitenden zu hoffen. Und dann gilt es zu erkennen: Jeder Schritt in eine nachhaltigere Praxis hat Auswirkungen! Vor allem die Inspiration für andere ist wirkungsvoll: die Vorbildfunktion für Besucher*innen und die Gesellschaft im Allgemeinen sowie die Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden innerhalb des Museums, die neue Motivation für die Arbeit schöpfen können.

Inzwischen wurden viele Leitfäden und andere Werke veröffentlicht, die Tipps zum nachhaltige(re)n Arbeiten geben (eine kleine Auswahl finden Sie unten in den Quellen aufgeführt). Dennoch muss sich mehr tun. ICOM und der Deutsche Museumsbund unterstützen diese These: Letzterer hat vor gut einem Jahr die „Arbeitsgruppe Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Museum“ gegründet und die Jahrestagung 2023 widmet sich der Nachhaltigkeit. Sie trägt den Titel “Ins Handeln kommen: Klimaschutz im Museum”. Museums for Future Germany wird dort auf dem Podium eine Einführung in unsere Arbeit geben, von Netzwerken berichten und gemeinsam mit Christopher Garthe (Kreativdirektor und Berater für Nachhaltigkeit in Museen und Ausstellungen) und dem Publikum diskutieren. ICOM Deutschland Young Professionals (Ende 2019 gegründet) haben seit November 2020 die „AG Nachhaltigkeit“ und schreiben von sich, dass sie sich für Umweltschutz und Nachhaltigkeit einsetzen (hier nachzulesen).

Auch die Politik wird aktiver. Auf Antrag der Grünen im Bundestag soll in den nächsten Jahren ein Green Culture Desk als bundesweite Plattform zum Dialog, zur Vernetzung und Aktivierung ökologisch-orientierter Kulturproduktionen geschaffen werden. Die Umsetzung liegt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Im April 2022 hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der BKM ein eigenes Referat gegründet, das sich Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes in Kultur und Medien widmet. Es soll unter anderem den Aufbau der im Koalitionsvertrag vereinbarten Anlaufstelle Green Culture vorantreiben und die Nachhaltigkeitspolitik innerhalb der Behörde verantworten. Die Bildung des Green Culture Desks (weitere Informationen hier) ist also in vollem Gange. Am 29. und 30. April diesen Jahres findet die erste Green Culture-Konferenz im Klimahaus Bremerhaven statt.
Es hat also ein wenig gedauert, bis Nachhaltigkeit (auch) im Kulturbereich angekommen ist. Daher ist es umso schöner, dass das Problem nun ganzheitlich angegangen wird. Es mag zu spät für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sein (s. IPCC-Bericht 2022), doch noch immer können wir die verheerenden Auswirkungen abmildern. Anders als in den 1980er Jahren bekommen wir die Folgen des Klimawandels inzwischen zu spüren – sogar in Deutschland. Das sorgt für Motivation. So bleibt nur eines zu sagen: Tagungen, Arbeitsgruppen, Projekte, Förderungen, Initiativen, Ausstellungen, neue Berufe: Nachhaltigkeit im Museum ist en vogue. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es sich um nachhaltige und zukunftsfähige Mode handelt.


Alia van den Berg




<Quellen>

Kröger, Franz/ Mohr, Henning/ Sievers, Norbert/ Weiß, Ralf (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22. Thema: Kultur der Nachhaltigkeit. Fachbeiträge/Kulturstatistik/Literatur. Bielefeld 2022.

Darin enthaltene Beiträge:

  • Blühdorn, Ingolfur: Unsere Freiheit, unser Wohlstand. Zur Krise des öko-emanzipatorischen Projekts. S. 59-68.
  • Brand, Ulrich: Solidarisch produzieren und leben. Kultur kann imperiale Denkmuster aufbrechen. S. 77-84.
  • Dowidat, Stefanie: Vom Klimakiller bis zum Vorreiter – über Nachhaltigkeit in Museen. Ein Überblick. S. 407- 414.
  • Föhl, Patrick S.; Nachhaltigkeit in der Kulturentwicklungsplanung. Was macht Kulturentwicklungsplanung nachhaltig? S. 172-178.
  • Weiger, Hubert: Nachhaltigkeitsallianzen in und mit der Kultur. S. 39-50.
  • Werlen, Benno: The Jena Declaration. Kunst und Kultur im Zentrum der Nachhaltigkeit. S. 95-103.


Tipps zur nachhaltigen Praxis in Kultureinrichtungen:

  • Garthe, Christopher J.: Das nachhaltige Museum. Bielefeld 2022.
  • Kulturstiftung des Bundes: Einfach machen! Ein Kompass für ökologisch nachhaltiges Produzieren im Kulturbereich.
  • Hehnke, Karen/ Hellmich, Peter/ Pyhel, Thomas: Umweltfreundliche Ausstellungen. Der Ratgeber zur Konzeption und Umsetzung. Osnabrück 2016.


Bei Anmerkungen oder zum Austausch, wenden Sie sich gerne an germany@museumsforfuture.org
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